sissi petutschnig

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tagebuch im whitecube:

Sobald Kabelbinder Fine Art zusammenhalten, bin ich schelmisch glücklich.

Sobald Kabelbinder Fine Art zusammenhalten, bin ich schelmisch glücklich. Dieser Pragmatismus hat sich in einem White Cube im ersten Wiener Gemeindebezirk durchgesetzt. Ich bin schelmisch, da dieses Detail wohl der Durchschnittsgaleriebesucher:in verborgen bleibt, da es so kühn kaschiert wurde. Und ich bin schelmisch, da es sich in der Bildenden Kunst im High-End- Sektor wohl nicht ziemt.

Google ich den feinen Herrn, so verbleibe ich wie zu erwarten unüberrascht zurück. Ein weiterer weißer Mann der Boomer-Generation schmunzelt mir mit selbstgefälligem Blick aus einem Pressefoto entgegen. Er hat es wohl geschafft und bespielt stolz mit einer Soloausstellung die Karin Galerie. Besonders auffallend springen mir die ausufernden Seilwandfriese ins Auge. Sie übersteigen das natürliche Maß des Menschen und ragen vom Fußboden bis zur Decke empor. Nehme ich mir das künstlerische Beiblatt zur Hand, erfahre ich kaum weitere Details zu den gezeigten Arbeiten – und dass, obwohl das Layout des Textes mit nur einem Zentimeter zum Blattrand gestaltet ist und zwei A4-Bögen, doppelseitig bedruckt, einnimmt.

Zugegebenermaßen mag ich den Text, auch wenn er von bedeutungsschwangeren Referenzen aus der Renaissance und Zitaten von Goethe nur so trieft. Ich interpretiere dieses Beiblatt als Konzept der reinen Zusatzinformation: Ich erhalte Informationen, die ich zur Interpretation der gezeigten Werke nicht notgedrungen benötige – wenngleich sie das Lesen der Arbeiten mit einer gewissen Erleichterung einhergehen lassen.

Ich frage mich, in welchem Duktus, Ton und Fachjargon der Künstler, Julius Schiller wohl selbst über seine Positionen sprechen würde. Ich frage mich, wie wohlwollend die Zusammenarbeit mit ihm ausgesehen hat. Ich frage mich, wie viel so ein Gipsrelief wohl zu kosten vermag. Und ich frage mich, warum ich zu schüchtern bin, zu fragen. An einem Ort, der nicht meine Welt zeigt, in dem ich mich stets auffällig und ausgestoßen empfinde, ringe ich oft nur darum, gesehen zu werden, und beginne, den Raum anzueignen. Ihn mir zu eigen zu machen und Wohlbefinden zu erfahren. So tragisch dieses Urteil zu sein vermag – es ist mir bewusst, dass sich diese Gedanken wohl zu 98 % ausschließlich in meinem Kopf abspielen, Imposter-Syndrom, Arbeiterklasse und Trauma sei Dank! Immerhin zähle ich zu den sogenannten Emerging Artists in Ausbildung und überprüfe am Weg zum professionalisierten Auge meinen geschulten Blick. Eigentlich gehöre ich also sowohl hierher. Die Betonung liegt auf „eigentlich“.

So sitze ich trotz dessen hier, in der White Cube Karin Gallery im ersten Bezirk, die Beine zum Schneidersitz gezwirbelt auf einer Fensterbank. Ich begrüße die Flucht, die Sichtachse, die mich fast bis zum anderen Ende des Ausstellungsraums führt. Eine runde Gesamtposition – allerdings etwas kühl und trocken, empfinde ich. Die große Skulptur und die Wandsujets lassen mich ein wenig Humor frohlocken, das dazu kombinierte (Schwarzlicht-)Strobo sorgt jedoch für eine sehr ernst gemeinte Setzung (vielleicht zu ernst) und lässt jeden Wink an Ironie in Kälte verblassen. Seriöse Umgebung also.

Im Grunde genommen bin ich einverstanden mit dem, was ich sehe – die Zeichnungen bilden für mich einen tollen Kontrast ab und gefallen mir sehr gut. Ich kann nicht entziffern, ob die Seilkonstruktion dem jeweiligen Bild gehört oder ob es sich um eine intuitive, ortsspezifische Ergänzung handelt. Ich frage mich, wie diese Werke in einem anderen oder weiteren Setting funktionieren würden – beispielsweise in einer Gruppenausstellung mit niedriger Raumhöhe. Klar, ich habe den Beitext gelesen und bin mir über die Hommage der Werke im Klaren. Dennoch wecken diese Seilkonstrukte mein Interesse – wahrscheinlich bloß den Kabelbindern zu verdanken. Und wahrscheinlich entzündete sich so sogar ein Funken Sympathie.

Wie auch immer. Im ewigen Grant verbleibend aus Liebe zur Kunst,

-sissi petutschnig

(ps.: Die genannten Namen und Orte wurden anonymisiert. Mit einem Kniff siehst du die Wahrheit.)